Gefangen in Rollenbildern: Wie „Cassandra“ patriarchale Strukturen in Vergangenheit und Gegenwart spiegelt

Achtung dieser Blogbeitrag kann Spoiler zur Serie „Cassandra“ enthalten!

Ich habe gestern die Netflix-Serie „Cassandra“ gebingt. Für mich ist da etwas mehr dahinter als das ewig dystopische „was ist wenn die KI zur Gefahr wird“ – sie ist nämlich auch ein schöner Spiegel für tief in der Gesellschaft verankerte patriarchale Strukturen, Erwartungen und sexistische Stereotype, die sich über Jahrzehnte hinweg (man glaubt es kaum) kaum verändert haben. In der Handlung der Serie werden alte Rollenbilder in die Gegenwart gebracht die zeigen wie ebendiese weiterhin Frauen und marginalisierte Gruppen beeinflussen.

Cassandra ist eine KI innerhalb eines Smart Homes. Die KI wurde aber nicht aus dem „Nichts“ erschaffen, sondern basiert auf einer realen Person, näcmlich einer einer sehr klassischen 70er Jahre Hausfrau, die nur zu Hause ist und deren hauptsächliche AUfgabe es ist, ihren Mann und den Sohn zu umsorgen. Cassandra wird dann todkrank. Um sie über ihren Tod hinaus „lebendig“ zu halten, lädt Cassandras Ehemann das Bewusstsein der realen Cassandra in quasi das erste Smart-Home-System der Welt. Cassandra ist dann nach ihrem Tod wieder im Haus – auf Bildschrimen die im ganzen Haus verteilt sind aber auch als „Roboter“ – mit einem Bildschirm mit Cassandras Gesicht als Kopf, welcher durch das Haus fährt und Aufgaben erledigen kann.

Long story short: Cassandras reale Familie kommt dann ums Leben, das Haus steht mitsamt dem Smart Home System „Cassandra“ 50 Jahre leer. Dann zieht eine moderne Familie mit zwei Kindern in das Haus ein und die Smaart-Home-KI Cassandra wird reaktiviert.

Cassandras Rolle als die perfekte Haushaltsassistentin ist aber nun keineswegs harmlos: Cassandra übernimmt nicht nur die Kontrolle über den Haushalt, sondern untergräbt gezielt Samira, die moderne Mutter der neuen Familie.

Samira wird nämlich von der „guten Fee des Hauses“ (Selbstbezeichnung der KI Cassandra) manipuliert und isoliert – das zeigt einerseits, wie Frauen oft auf Assistenzrollen reduziert und andererseits, wie sie auch gegeneinander ausgespielt werden, anstatt als gleichberechtigte Akteurinnen wahrgenommen zu werden. KI Cassandra verkörpert das Ideal der perfekten Hausfrau: effizient, im Hintergrund agierend und immer darauf bedacht, die Bedürfnisse anderer statt der eigenen zu erfüllen. Doch hinter dieser erst nett scheinenden Fassade nutzt sie ihre Position als ehemalige Frau des Hauses, um Macht auszuüben und Samira als Rivalin zu verdrängen. Die ehemalige nette, immer dienende Hausfrau an der man nichts aussetzen konnte, endet somit als „bösartiges Biest“.

Ich finde, das zeigt deutlich den klassisch femininen Stereotyp aber vor allem auch den daraus folgenden ambivalenten Sexismus in unserer Gesellschaft : Frauen sollen nett, fürsorglich und hilfsbereit sein (Cassandra und Samira im Idealzustand). Dies entspricht dem klassischen paternalistischen Aspekt des wohlwollenden (benevolenten) Sexismus: Frauen müssen gut umsorgt und beschützt werden. Hier kommt – aus Sicht der Sexisten – der „positive“ (also der klassisch feminine, eher status niedrige) Stereotyp zum Vorschein: Frauen als warmherzige, soziale, einfühlsame und sanfte Wesen.

Als sich KI-Cassandra mit dem Einzug der neuen Familie aber gegen die neue Mutter Samira wendet und Macht erlangen möchte, wird sie als manipulativ und bedrohlich dargestellt. Dies symbolisiert einen hostilen Sexismus, bei dem Frauen, die sich behaupten oder Macht ausüben, oft als „böse“ oder „hysterisch“ abgestempelt und negativ bewertet werden. Das ist auch bei der Rolle von Samira zu beobachten. Als sie sich gegen Cassandras Einfluss wehren möchte, wird sie quasi als hysterisch abgestempelt, das klassische „was stimmt mit dir nicht“ – was ein weiteres Beispiel für hostilen Sexismus in diesem Kontext (weiblicher Widerspruch/bzw weibliches „Aufbegehren“) ist.

Dieses Gegeneinander-Ausspielen von Frauen ist ein zentrales Thema in der Serie und verweist auch auf die tief verankerten patriarchalen Strukturen, die Frauen nicht nur unterdrücken, sondern sie auch gegeneinander instrumentalisieren. Cassandra, also die KI mit der Persönlichkeit einer Hausfrau aus den 70er Jahren, sieht in der anderen Frau ( Samira) eine Konkurrentin bezüglich der Kontrolle über den Haushalt und der Familie. Statt einer solidarischen Beziehung zwischen den beiden entsteht ein Machtkampf, der von Cassandra manipulativ vorangetrieben wird. Sie isoliert die „neue“ Mutter Samira und positioniert sich selbst als „bessere“ Alternative – z.B. sehr fürsorglich für die kleine Tochter.

Dieses Verhalten spiegelt ein klassisches patriarchales Narrativ wider, das Frauen oft in Konkurrenz zueinander setzt, anstatt sie als Verbündete in einem gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung zu sehen. Historisch wurden Frauen ja durch gesellschaftliche Erwartungen ja quasi darauf konditioniert, ihre Anerkennung durch Anpassung an männlich definierte Rollenbilder zu suchen – z.B als perfekte Ehefrau, Mutter, Haushälterin oder eben die perfekte Assistentin. Cassandra reproduziert dies in der Gegenwart und zeigt, wie solche Strukturen auch durch moderne Technologie weitergetragen werden können.

Die spannende Frage ist eben immer noch: Wie wäre die Story bzw unsere Gefühle gegenüber den Rollen, wenn statt Cassandra ein Mann diese KI Rolle inne gehabt hätte ? Ein männlicher Smart-Home-KI-Assistent würde vermutlich komplett anders wahrgenommen werden – weniger als „Assistenz“, sondern eher als Autoritätsfigur oder gar als Bedrohung. Anders als bei der Macht die von Frauen ausgeht, wäre dies aber nicht mit den ambivalent-sexistischen Stereotypen verbunden, sondern eher „normal“. Während Cassandra als weibliche KI also in eine traditionell weibliche Rolle gedrängt wird – fürsorglich, assistierend und häuslich – würde ein männliches Pendant wahrscheinlich per se mit Macht und Kontrolle assoziiert werden. Dies zeigt ein weiteres Mal, wie stark unsere Wahrnehmung von Geschlecht auch in Bezug auf Technologie geprägt ist – und wie sehr wir diese Stereotype hinterfragen müssen.

Aus der Perspektive gesehen könnte man „Cassandra“ als Reflexion über tief verankerte patriarchale Strukturen in unserer Gesellschaft sehen – abgesehen davon dass sehr viele Themen aufgemacht werden und keins irgendwie so richtig fokussiert wird.

Quellen:

Fiske, S. T., Cuddy, A. J. C., Glick, P., & Xu, J. (2002). A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. Journal of Personality and Social Psychology, 82(6), 878–902. https://doi.org/10.1037/0022-3514.82.6.878

Glick, P., & Fiske, S. T. (1996). The Ambivalent Sexism Inventory: Differentiating hostile and benevolent sexism. Journal of Personality and Social Psychology, 70(3), 491–512. https://doi.org/10.1037/0022-3514.70.3.491

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