Oder: Wie User Experience immer noch mit Usability und Interaktionen gleichgesetzt wird.
Die wichtigsten Begriffsdefinitionen kurz vorweg:
- Usability:
Nutzfreundlichkeit, d.h. das Produkt lässt sich ‚leicht‘ bedienen, man wird kognitiv nicht mega-beansprucht und muss sich in algorithmische Denkweisen einarbeiten, wenn man Tasks ausführen möchte. - User Experience / Experience Design:
Im besten Fall super, wenn das Produkt richtig Spass macht, eventuell sogar sinnvoll ist, und es mit positiven Emotionen assoziiert wird.
Eine positive Experience wird natürlich von Usability gefördert – wenn etwas ‚leicht‘ und angenehm zu bedienen ist, sind die Chancen etwas höher, das man nicht mit Angst und Schrecken daran zurückdenkt, es wieder bedienen zu müssen.
Aber garantieren Usability und/oder Interaktionen die gerade ‚Fun‘ sind, weil die Elemente so schön bunt sind und rumhüpfen, ebenso eine positive User Experience? Nicht zwingend.
Marc Hassenzahl (2013) verweist auf Forlizzi & Battarbee (2004) und spricht in seinem Artikel von ‚moment-by-moment experiences‘ und ‚moment-by-moment-feelings‘.
User Experience ist also nicht alleine: Die Interaktion mit einem Device in dem Moment, in dem man es bedient.
Sicherlich trägt eine positive Interaktion, die bedienfreundlich ist und eventuell sogar Spass macht, wie gesagt zu einem positiven Gesamterlebnis bei – aber wenn nicht klar ist, WARUM man dies oder das benutzen soll, bringt auch die tollste ’stand-alone‘ Mensch-Maschine-Interaktion nichts.
Die Experience liegt viel weiter unten, im Fundament. Man muss also eher holistisch denken und sich fragen: Warum sollten Menschen das benutzen?
Menschen mögen positive Emotionen. Positive Emotionen möchte man immer gerne erleben.
Emotionen sind auch die Dinge, an die wir uns erinnern. D.h, wenn wir uns an eine Erfahrung/ ein Erlebnis mit etwas erinnern, läuft in unserem Kopf so eine Art Meta Geschichte ab. War das positiv oder negativ?
Ein Beispiel aus dem Bereich Lesen:
Mit dem Readability Bookmarklet verwandelt man Artikel in ein super-lesefreundliches Format, es macht plötzlich sogar Spass, am Bildschirm längere Artikel zu lesen.
So weit, so gut, alles nutzerfreundlich, lesefreundlich – prima, ein NPITA (NoPainInTheAss)-Produkt, Congratulations!
Ist das genug? Bleibt uns das in Erinnerung? Sicher wird man dies weiter gerne nutzen, aber emotionale Erinnerungen hängen da keine dran. Was ich damit sagen möchte ist: Die positive Emotion kann man steigern, das Leseerlebnis kann man toppen und auch vielleicht einen Mehrwert bieten.
Bleiben wir weiter bei Readability:
Am Anfang bekommt der Leser bei Readability die durchschnittliche Lesedauer angezeigt.
Das ist – wie in dem Bsp. bei einer Lesedauer von 5 Minuten – jetzt vielleicht nicht besonders essentiell, allerdings schon, wenn ich einen 80 min Artikel vor mir habe.
Was hier besonders ist: Es ist menschenfreundlich, eine Einheit (hier: Minuten), mit der Menschen etwas anfangen können. Wenn man den Artikel nur schnell durchsrollt, hat man mitunter kein Gefühl dafür, wie lange man brauchen könnte, um den Artikel zu lesen, man unterteilt nur grob in ‚zu lang‘, ‚hm, geht so‘, ‚ok, kann ich schnell lesen‘.
Mit der vom Tool angegeben Einheit ‚Minuten‘ kann man also umgehen sowie planen: Passt dies in meinen Zeitrahmen oder nicht? Dies sind Informationen, die motivieren oder abschrecken können.
Wie könnte man hier den eventuell abschreckenden Aspekt 90 min Lesezeit reduzieren und die Motivation steigern, den Artikel zu Ende zu lesen?
Ein Ansatz hier wäre z.B, während des Lesens/Scrollprozesses die Anzahl der verbleibenden Minuten anzuzeigen. Das menschliche Gehirn erhält ein Feedback, mit dem es etwas anzufangen weiß: ‚Ich rücke meinem Ziel immer näher‘ – quasi Countdown-like.
Sobald man also durch den Artikel scrollt, würde angezeigt, wie man seinem Ziel immer näher rückt: ‚Okay, nur noch 60 min‘ …‘Hurra, nur noch 30 min‘ – eventuell sogar mit farbigen Indikatoren hinterlegt, wer weiß.
Wenn dies nicht so der Fall ist, bricht man den Artikel eventuell irgendwann ab, weil nicht genau absehbar ist, wie lange es noch dauern könnte. Man verliert vielleicht die Lust, zu lesen. Mit einer Zeitangabe wiederum hätte der Leser die Möglichkeit, sich Häppchen zurechtzulegen.
Dies würde den ‚inneren‘ Antrieb fördern: ‚Damit werde ich fertig‘, ‚Ich kann das Ziel sehen‘ – es ist kein Herumtapsen mehr wie in einem dunklen Raum.
Plötzlich hat das Lesen Spass gemacht, es hat sogar positive Emotionen erzeugt – u.a. weil man ein Ziel regelrecht vor Augen hatte, man hatte sogar einen Mehrwert – Stichwort: Planung, menschenfreundliche, verarbeitbare Einheiten.
Und das ist es auch, an was wir uns erinnern werden, die positiven Emotionen, und deshalb ein Produkt gegenüber einem anderen bevorzugen.
Referenzen:
Forlizzi, Jodi and Battarbee, Katja (2004): Understanding experience in interactive systems. In: Proceedings of DIS04: Designing Interactive Systems: Processes, Practices, Methods, & Techniques 2004. pp. 261-268
Hassenzahl, Marc (2013):User Experience and Experience Design. In: Soegaard, Mads and Dam, Rikke Friis (eds.). „The Encyclopedia of Human-Computer Interaction, 2nd Ed.“. Aarhus, Denmark: The Interaction Design Foundation. Available online at http://www.interaction-design.org/encyclopedia/user_experience_and_experience_design.html
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